13. Kapitel

Und wir sollen uns auf so
eine Art Schatzsuche machen?“



(…) „Also“, fing Katharina wieder an. „Frau Obermayer ist etwas ganz Wichtiges eingefallen, was sie noch besitzt, und das uns sicher interessieren würde.“ – „Mach es nicht so spannend“, sagte Martin. „Um was geht es denn?“ – „Das weiß ich doch auch nicht, Bruderherz!“, rief Katharina fast empört. „Wir sollen das selber herausfinden. Aber das Ding, um das es geht, würde supergut in die geplante Aktion passen.“ – „Hat Frau Obermayer ‚supergut’ gesagt?“, fragte Hübner amüsiert und zog an der Pfeife. Auch Katharina musste grinsen. „Nee, natürlich nicht!“ – „Und wir sollen uns auf so eine Art Schatzsuche machen?“, fragte Lena ungläubig

„So habe ich sie verstanden. Wir würden dann ein wichtiges Erinnerungsstück aus dem Dritten Reich finden. Und dann sollen wir selbst sehen, wie wir das in der Aktion im Januar unterbringen.“ Katharina kam plötzlich selbst alles ein bisschen merkwürdig vor, was sie der Gruppe auszurichten hatte. Lena hatte das Wort „Schatzsuche“ gebraucht. So ähnlich hatte sich doch schon heute Vormittag Schwester Inge im Franziskus-Heim ausgedrückt! Katharina fühlte einen Stich und spürte für einen Augenblick ein richtiges Angstgefühl: Was ist, wenn Schwester Inge mit ihrer lockeren Bemerkung ganz richtig lag? Wenn auch Frau Obermayer da irgendwas durcheinander brachte?

Sie schreckte aus ihren Gedanken wieder auf, weil die ganze Runde sie schweigend ansah. Auch Herr Hübner hatte die Pfeife aus dem Mund genommen. „Äh, ja also ...“ Katharina war plötzlich die Lust vergangen, die ganze Angelegenheit spannend aufzuziehen. „Wir sollen den Dachboden absuchen.“ – „Oha! In exterritoriales Gebiet einmarschieren“, staunte Hübner. „Genau. Diesen Begriff von Ihnen kannte Frau Obermayer übrigens“, bestätigte Katharina. „Unter ihren Besitztümern auf dem Dachboden des Gartenhauses soll sich ein alter Reisekorb befinden.“ – „Och! Das war’s schon?“, fragte Timo enttäuscht. „Ich dachte, jetzt kommt so eine Art Geocaching, wo wir alle ausrücken müssen!“ – Natürlich wusste keiner, von welcher technischen Errungenschaft Timo jetzt wieder sprach. „Na, ich meine Schatzsuche per GPS“, erklärte er. „Wie Schnipseljagd, nur elektronisch.“ – „Klar! Frau Obermayer und GPS!“, meinte Martin etwas ungeduldig, aber alle mussten lachen. Obwohl auch Katharina mitlachte, konnte sie es nicht gut haben, dass über Frau Obermayer gelacht wurde. „Ich würde vorschlagen“, mischte sich Hübner ein, „dass wir jetzt einfach einmal dem Hinweis von Frau Obermayer nachgehen und den Dachboden absuchen. Dann werden wir den Reisekorb ja finden.“ – „Weiß einer von euch, wie ein Reisekorb aussieht?“, fragte Timo.

Der Reisekorb hatte einen Grundriss von ungefähr 90 cm Länge und 70 cm Breite, die Höhe betrug rund 60 cm. Er war gebaut wie eine Truhe, hatte also oben einen aufklappbaren Deckel. Abgesehen vom Boden, der eine stabile Holzplatte mit Kufen war, war er wie ein Korb geflochten. „Das sollte bei weiten Reisen wohl Gewicht sparen“, vermutete Hübner. „Dann stammt das Schätzchen noch aus der Postkutschenzeit?“, fragte Jakob. „Oder der Reisekorb war für Schiffsreisen gedacht“, vermutete Lena. Alle umstanden und begutachteten den Fund, den Wolfgang Hübner und Martin soeben auf dem Dachboden gemacht hatten. Vorsichtig war der Korb von ihnen aus der kleinen Giebelluke herausgereicht worden, wo Timo und Jakob, auf einer Leiter stehend, ihn entgegen genommen und langsam nach unten gelassen hatten. Dort hatten ihn Lena und Katharina übernommen und ihn auf dem Gras abgesetzt. Was so eingespielt aussah, hatte alle aus der Puste gebracht. Der zierlich aussehende Korbkoffer schien mit Ziegelsteinen gepackt zu sein, so schwer war er! „Damit haben wir uns heute Abend ein Extra-Kotelett verdient“, schnaufte Timo. „Los, macht schon auf!“, drängelte Katharina. Ein Vorhängeschloss besaß der Reisekorb nicht. In der dafür vorgesehenen Öse steckte nur ein schmaler Holzkeil. Aber der war mit aller Kraft eingetrieben worden, da bewegte sich gar nichts. Plötzlich war noch ein neugieriger Zuschauer erschienen. Merlin schnupperte aufgeregt am Korb und spürte, das hier etwas Spannendes vor sich ging.

Hübner verschwand im Gartenhaus und kam kurze Zeit später mit einer größeren Zange zurück. Er setzte sie am Keil an und hebelte das Holzstück langsam aus der Öse. Martin klappte den Verschluss zurück. „Soll ich den Koffer öffnen?“, fragte er. Alle nickten. Langsam klappte Martin den Deckel hoch und schlug ihn vorsichtig zurück. Die geflochtenen Wände des Reisekorbs waren von innen mit rotem Wachstuch ausgeschlagen. Im Korb lag ein größeres Bündel, in einer grauen Wolldecke eingeschlagen und mit einem Ledergürtel verschnürt. Es wirkte gar nicht so groß wie erwartet. „Und das ist so schwer?“, wunderte sich Jakob. „Ich weiß zwar nicht, was für ein Schwergewicht da jahrelang über meinem Kopf gelagert war“, meinte Herr Hübner. „Aber wir sollten es nicht hier auf der Wiese auspacken. Bringen wir den ganzen Korb zur Veranda.“ Gesagt, getan; der Korb wurde zur Veranda gezogen. Dann fassten Timo, Martin und Jakob gleichzeitig das Bündel an. Mit einem Ruck hievten sie es aus dem Korb und hielten es für einen Augenblick einen knappen Meter hoch. Schnell zogen Lena und Katharina den Korb darunter weg, und die Jungen ließen das Bündel wieder herab und legten es auf die Bohlen der Veranda. „Auspacken!“, flüsterte Timo. Hübner löste die verrosteten Gürtelschnallen und schlug die Decke zurück. Ein modriger Geruch schlug allen entgegen. Unter der Wolldecke erschien ein weißes Leinentuch, wahrscheinlich ein ehemaliges Bettlaken. Hübner schlug auch das Laken zurück. Auf dem weißen Stoff stand jetzt ein schwarzes Metallgerät. So etwas hatte noch niemand gesehen. „Was ist das denn?“, staunte Jakob. „Eine Zeitmaschine!“, meinte Lena. „Quatsch“, entgegnete Martin. „Timo! Du bist doch unser Technik-Freak. Was denkst du darüber?“ Timo kratzte sich am Kopf. Dann las er laut den goldenen Schriftzug vor, der an der Seite des merkwürdigen Apparates aufgedruckt war. „Roto Hektograph. Zwick und Söhne. Augsburg“.

Jetzt dämmerte es bei allen! „Hektograph?“, fragte Lena ganz aufgeregt. „Von einem Hektographen hat uns doch Frau Obermayer erzählt, als wir sie interviewt haben.“ (…)